HE Zhigao:Nach den Wahlen in Frankreich: Macron vor großen Herausforderungen Exklusiv
Die französischen Präsidentschaftswahlen sind am Sonntag per Stichwahl entschieden worden. Mit 65 Prozent der Stimmen setzte sich Emmanuel Macron gegen seine Konkurrentin Marine Le Pen vom Front National durch. Der 39-jährige Sozialliberale wird in wenigen Tagen sein Amt als neuer Präsident Frankreichs antreten. Mehrere Staatschefs und Politiker aus der Europäischen Union gratulierten ihm zum Wahlsieg – von Donald Tusk über Jean-Claude Juncker bis zur Bundeskanzlerin Angela Merkel. Europas Spitzenpolitiker werten das Ergebnis eher als einen Sieg der Europäischen Union denn als Triumph eines Einzelnen. Mit Macrons Sieg ist die Gefahr eines „Black-Swan-Events“ für Europa –ein Ereignis, das niemand kommen sah, das aber verheerende Folgen hat– zunächst gebannt. Der Kontinent erhofft sich vom Sieg des 39-jährigen neue Impulse im Kampf gegen den Populismus. Dank Macrons Sieg darf sich die EU den Herausforderungen nun relativ entspannt stellen. Die Union gewinnt nicht nur Zeit, sondern auch Zuversicht.
Trotzdem hat Frankreich auch unter dem neuen Präsidenten noch eine Reihe von Herausforderungen zu meistern.
Erstens. In der fünften Republik Frankreichs hat sich der Schwerpunkt der Macht immer weiter auf den Staatspräsidenten verschoben. Die Amtsperiode des Präsidenten fällt mit der des Parlaments zusammen und das bedeutet: nach der Wahl ist vor der Wahl. Im kommenden Monat finden in Frankreich die Parlamentswahlen statt. Dadurch wird der politische Prozess in Frankreich vereinfacht. Doch in Frankreichs semipräsidentiellen Regierungssystem teilt sich der Präsident das Recht zur Ernennung einer Regierung mit einem vom Parlament gewählten Premierminister. Erhält der frisch gewählte Präsident keine Parlamentsmehrheit, ist er in seinem Handeln vielfältig eingeschränkt. Dieses in der französischen Politik als Cohabitation bekannte Phänomen könnte zu Chaos im politischen Prozess führen, sollten die konservativen Republikaner die Parlamentswahlen für sich entscheiden. Die Handlungsfähigkeit der Regierung könnte in Gefahr geraten.
Zweitens geht es um die Wähler. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen erhielt Le Pen 21,53 Prozent der abgegebenen Stimmen, was einem Anstieg von 13 Prozentpunkten im Vergleich zu den Wahlen aus dem Jahr 2012 bedeutet. Im zweiten Wahlgang erhielt sie Rückendeckung von mehr als zehn Millionen Wählern. Das Wählerpotenzial des Front National ist enorm. Je stärker sich die Wähler Frankreichs frustriert und unterdrückt fühlen, desto stärker werden die zentrifugalen Kräfte in der Politik des Landes. Somit werden die Chancen auf einen Wahlsieg der Populisten weiter steigen.
Macrons Sieg ist für Viele ein Sieg des geringeren Übels. Normalerweise liegen die Kandidaten in den Wahlen nicht mehr als zehn Prozentpunkte auseinander. 25,4 Prozent der Wähler enthielten sich der Stimme. Daraus kann gefolgert werden, dass die Wähler vor allem von der Absicht geleitet waren, Le Pen als Präsidentin zu verhindern. So brachen viele nach der Wahl auch nicht in Jubelstürme aus. Macrons Sieg bedeutet also nicht unbedingt ein Scheitern des Populismus.
Drittens muss sich die Regierungsfähigkeit von Macron erst noch unter Beweis stellen. Seiner Ansicht nach sollte Frankreich noch enger an die EU angeschlossen werden. Er will die Regierungsstrukturen und -prozesse in Frankreich reformieren, um so die Probleme des Landes zu beheben. Er betont das Primat der Demokratie und den Geist der Aufklärung.
Die von Macron ins Leben gerufene Bewegung „En Marche!“ (auf deutsch: „Vorwärts!“) will Frankreich politisch modernisieren. Doch wenn sie nicht bald Strukturen einer echten politischen Partei aufbaut, werden ihre Ideen bloß inhaltsleere Slogans bleiben. Der neue Präsident Frankreichs steht vor zahlreichen Herausforderungen. Es gibt nicht nur Probleme in der Wirtschaft, wie Jugendarbeitslosigkeit und der Kampf mit den Folgen der Globalisierung, sondern auch gesellschaftliche Missstände, wie die ungelöste Flüchtlingskrise. Macron darf sich jetzt nicht zurücklehnen.Frankreich braucht einen Macher, einen Führer mit Weitblick und Verantwortungsbewusstsein, der die Probleme des Landes entschlossen anpackt.
Die politische Kultur Frankreichs ist weniger durch Konsens geprägt, sondern von Mehrheitsentscheidungen. Die Wählerstruktur Frankreichs ist zersplitterter, als es die Wahlergebnisse vom vergangenen Sonntag erkennen lassen. Im zweiten Wahlgang hat Macron sein Wählerpotenzial voll ausgeschöpft, doch im ersten Wahlgang zeigte sich, dass die französischen Wähler sehr heterogene Ansichten vertreten.
Für Macron wird es schwierig, zwischen seinen verschiedenen Wählergruppen zu vermitteln, da sie aus unterschiedlichen politischen Lagern stammen. „En Marche!“ ist in der französischen Politik ein neues Phänomen. Auch in der EU herrscht weiterhin Ungewissheit. Mit dem Sieg Macrons haben Frankreich und Europa fünf Jahre Zeit gewonnen. Wenn die Probleme in der Wirtschaft, der Gesellschaft und der inneren Sicherheit in diesem Zeitraum nicht gelöst werden,stärkt dies am Ende nur die Populisten.
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(Contant He Zhigao:hezg@cass.org.cn)